Liebe Mitstreiter*innen
In den vergangenen Jahren bin ich von ausserhalb meiner Polit- Bubble immer wieder darauf angesprochen worden, was ich denn am 1. Mai vorhabe, schliesslich sei arbeitsfrei. Euch muss ich nicht erzählen, wie mein Tag der Arbeit jeweils ausgesehen hat.
Aber in diesem Jahr war alles anders. Die Abstimmungsergebnisse der vergangenen Jahre haben aufgeweckt. Insbesondere das Ja zur Rentenaltererhöhung schockiert und mobilisiert. Erst letzte Woche hat mich eine Frau im Coop angesprochen und gesagt, «Frau Locher, jetzt müssen wir uns endlich gegen diese Ungerechtigkeiten wehren und zusammenstehen und auf die Strasse gehen.» Und so freue ich mich besonders, dass wir hier und heute an diesem Kampftag mit so vielen Leuten «zusammenstehen».
Ich weiss nicht, wie es euch gegangen ist, als ihr in den vergangenen Tagen vielleicht auch Artikel über Sinn oder Unsinn des 1. Mais gelesen habt. Dass es doch viel angenehmer sei, zuhause im Trockenen zusammen zu sitzen, als im Regen zu demonstrieren. Dass diese Umzüge und Reden doch eigentlich sowieso nicht mehr nötig seien. Diese Artikel treffen aber in keiner Art und Weise, was im Moment in unserer Gesellschaft los ist, denn der Wunsch nach gerechten Löhne, Renten und echter Gleichstellung ist laut.
Es geht heute nicht um Festreden, um das Schwenken von Fahnen, es geht nicht um Umzüge, sondern darum, für was diese stehen: Für die Arbeitnehmendenbewegung und ihre Errungenschaften.
Es geht um die politische Kraft der Arbeitnehmenden, um die politische Kraft von uns allen, um die Kraft, die Millionen von Menschen aus dem Elend geholt hat und die Welt verändert hat, denn genau das, liebe Mitstreiter*innen, hat diese Bewegung in der Vergangenheit gemacht.
Alle sozialen Errungenschaften, das haben die vergangenen Jahre gezeigt, bleiben nur so lange bestehen, wie wir sie gegen die Angriffe von rechts verteidigen. Und dafür, dafür braucht es eine starke Linke und eine starke gewerkschaftliche Bewegung, es braucht sie heute, morgen und es braucht sie auch in 100 Jahren.
Niemand hat je gesagt, dass dieser Kampf bequem ist, oder stets im Trockenen stattfindet. (Tut er sogar eher selten). Aber: Viele der alten Errungenschaften von unseren Vorgängerinnen, sind in Gefahr, der Tag der Arbeit und der damit verbundene Kampf, sind so relevant wie je zuvor. Wir stehen ein für ein Leben in Gerechtigkeit und Würde für alle, für einen gerechten Anteil am Reichtum in dieser Welt.
Und wir werden mehr und das ist wichtig, denn das Motto mehr Lohn, mehr Rente und Gleichstellung jetzt, trifft die tiefen und mittleren Einkommen besonders. Und insbesondere (aber nicht nur) Frauen* brauchen endlich bessere Arbeitsbedingungen, faire Bezahlung, gerechte Renten und Wertschätzung, sei es bei der bezahlten oder der unbezahlten Arbeit und dafür kämpfen wir. Wir kämpfen für ein Leben in Würde und mit einer Rente, die zum Leben reicht, für unsere Mütter und Grossmütter. Wir kämpfen für echte Anerkennung für die Betreuungsarbeit, die unsere Tanten, Kolleginnen und Schwestern leisten. Wir kämpfen für gerechte Arbeits- und Anstellungsbedingungen für unsere Nachbarinnen und für ein selbstbestimmtes Aufwachsen unserer Nichten und Töchter und gegen den Sexismus, der unsere Gesellschaft nach wie vor auf so vielen Ebenen prägt. Wir kämpfen für Lohn, Zeit und Respekt und wir kämpfen zusammen mit solidarischen Männern, die einstehen, für eine Gesellschaft der Geschlechtergerechtigkeit.
Aber der Kampf für gerechte Löhne und Renten und ein Leben in Würde ist aber nicht nur ein Kampf von und für Frauen, sondern für alle Geschlechter. Der Gewerbeverband hat erst vergangene Woche die Idee aufgebracht, die Arbeitszeit generell zu erhöhen, ein Vorhaben auf dem Buckel der Arbeitnehmenden und ein Appell an uns alle, gemeinsam zu kämpfen.
Die feministische Revolution ist in der breiten Bevölkerung angekommen und das macht den Rechten Angst, denn Geschlechtergerechtigkeit ist untrennbar mit dem Klassenkampf verbunden. Wir sind nicht mehr bereit, die Ungerechtigkeiten in den Gemeinden, diesem Kanton und diesem Land, ja auf der Welt, hinzunehmen.
Unser Kampf ist der Kampf vieler, deshalb lasst uns zusammenstehen, kantonal, national und international, für Gerechtigkeit, für Gleichstellung, für alle Menschen!