Rede am feministischen Streik, 14. Juni 2023
Liebe Mitstreiterinnen
Heute vor vier Jahren haben wir zusammen Grossartiges erlebt. Mit tausenden Frauen und solidarischen Männern sind wir eingestanden für Lohn, Zeit, Respekt. Ich weiss nicht, wie es euch an diesem Tag ging. Ich habe bis dahin noch selten so eine Einigkeit, Solidarität und Vehemenz erlebt, beim Kampf um unsere feministischen Anliegen. Und heute, was haben wir in den vergangenen Jahren erreicht und was ist denn geblieben von diesem 14. Juni 2019?
Lohngleichheit? Höhere Renten, welche zum Leben reichen und Deckungslücken gerade bei Frauen ausgleichen? Schutz vor Sexismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz und in der Freizeit? Liebe Anwesende, konntet ihr eine der Fragen eindeutig mit Ja beantworten? Ich nicht. Und was ist denn die Antwort, wenn wir jemandem mitteilen, dass es nach wie vor einen feministischen Streik braucht, dass wir wieder auf die Strasse müssen, um für unsere Anliegen zu kämpfen? «Ja, ihr braucht halt Geduld, es geht halt in kleinen Schritten voran, man kann nicht gleich alles einfordern, ihr habt ja schon viel.»
Nein! Ganz einfach, wir haben keine Geduld mehr. Frauen bekommen immer noch weniger Lohn und tiefere Renten. Sie übernehmen mehr unbezahlte Arbeit. Und sie sind mit Diskriminierungen und Belästigungen konfrontiert. Das ist unsere Realität!
Frauen* und Männern sollten heute unabhängig von ihrem Geschlecht grundsätzlich gleiche Karrierewege offenstehen. Trotzdem herrschen in unserer Gesellschaft stereotype Vorstellungen davon vor, was weibliche* und männliche Tätigkeitsfelder sind. Und noch immer ist die Geschlechtersegmentierung auf dem Arbeitsmarkt vorherrschend.
Gerade in Betreuungsberufen, in der Pflege und der familienergänzenden Kinderbetreuung arbeiten mehrheitlich Frauen. Ihre Arbeits- und Anstellungsbedingungen sind gemessen an den Anforderungen an ihre Ausbildung eher schlecht. In den angesprochenen Berufen sind die Angestellten oft körperlich und psychisch stark belastet, was durch Personalmangel und Spardruck verschärft wird. Wenn so viele Leute den Beruf verlassen, dann geht immer auch Wissen verloren und die Lage verschärft sich weiter, bleibt doch die Last auf den Verbliebenen. Die Gesellschaft wird immer älter, Krankheiten hoffen sich und der Bedarf an Personal wird ganz sicher nicht sinken, im Gegenteil er wird in Zukunft zunehmen. Diese Fakten zeigen klar, es braucht eine Verbesserung der Situation, es braucht eine Verbesserung der Anstellungsbedingungen und da muss auch der Kanton in Pflicht genommen werden.
Die Anstellungsbedingungen von Berufen die traditionell frauendominiert sind (Pflege, Betreuung und so weiter) müssen von den Institutionen im Sozialbereich auf ihre Anstellungsbedingungen überprüft werden und es müssen Massnahmen zur Verbesserung ergriffen.
Und der Kanton Baselland muss im Sozialbereich, insbesondere in der Alterspflege und in der familienergänzenden Kinderbetreuung, nur noch Aufträge an Institutionen vergeben, die ihre Anstellungsbedingungen mittels Gesamtarbeitsverträge mit den Sozialpartnern verhandelt und abgesichert haben, das trägt auch dazu bei, Lohndiskriminierung vorzubeugen.
Denn gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, das sollte im Interesse aller liegen. Seit 1981 ist die Lohngleichheit Verfassungsauftrag und 1995 wurde der Grundsatz im Gleichstellungsgesetz verankert. Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts ist seitdem einklagbar. Allerdings hapert es bei der Umsetzung und dem Einhalten dieser expliziten Lohngleichheit nach wie vor. Bis heute verdienen Frauen aus statistisch nicht abschliessend erklärbaren Ursachen weiter ca. sieben Prozent weniger als Männer. Und da kann eine Studie, die per Zufall heute in den Medien ist noch so Gegenteiliges behaupten. Witzig auch, dass diese Studie ausgerechnet vom ArbeitgebeRverband kommt. Es besteht Handlungsbedarf und es ist beschämend, dass wir heute überhaupt noch für die Lohngleichheit kämpfen oder gar darüber diskutieren müssen, Punkt.
Wie geht es euch mit dem Begriff Respekt? Gerade wenn ich mich hörbar für feministische Anliegen (die ja eigentlich in allen Anliegen mit drin sind) engagiere, bekomme ich überaus viele Kommentare. Oft auch beleidigend.
Einmal habe ich versucht, einem Mann aufzuzeigen wie es so ist, sich zu engagieren. Hier ein kleiner, sehr persönlicher, Auszug davon.
«Lange habe ich überlegt, ob ich, Ich schreibe dir, da ich festgestellt habe dass du immer wieder auf meine Posts reagierst, insbesondere wenn es sich dabei um Gleichstellungsthemen handelt. Deine Kommentare stimmen mich nachdenklich, da sie mir den Eindruck vermitteln, dass du dich angegriffen fühlst und mein Engagement für Gleichstellung und das vieler anderer Frauen und Männer ins Lächerliche ziehst.
Gerne möchte ich dir anhand von einer sehr kleinen Auswahl an Erlebnissen erklären, weshalb mir dieser Einsatz so wichtig ist:
2014: Ich rutsche in den Landrat nach, ein Mann sagt an einer grossen Sitzung: «Meine Kollegen haben gefragt, was da für ein blondes Tussilein da nachrückt»
2015: Ich bin am Wochenende auf dem Nachhauseweg, es ist spät, ich bin alleine. Ein Mann kommt mir entgegen und lässt die Hosen runter, ich renne den ganzen restlichen Weg nach Hause.
2016: Ich werde Fraktionspräsidentin der zweitgrössten Fraktion. Wir haben einen Anlass. Es anderer Politiker kommt auf mich zu: «Sie sind die Sekretärin oder? Wo bekomme ich einen Kaffee?» Meine Aussagen an der Sitzung werden nicht wahrgenommen, erst wenn sie von einem männlichen Kollegen wiederholt und als seine Ideen verkauft werden.
2017: Ich habe eine neue Brille. Ich habe eine Sitzung – alles Männer. Man lässt sich zuerst eine Viertelstunde über die neue Outfits der Angestellten aus, dass man da ja keine kurzen Röcke mehr sehen könne. Kurz darauf wird meine Brille zum Gespräch, die politische Einstellung sei falsch, aber mit der Brille sei ich immerhin sexy. Mann sehe mich jetzt «scharf»…
2018: Ich bin in einem vollbesetzten Bus. Ein Mann setzt sich neben mich. Er spricht mich an. Ich wimmle ab. Er haucht mich an. Ich sage laut Stopp. Niemand im Bus reagiert, obwohl gut sichtbar ist, dass es für mich sehr unangenehm ist. Der Mann legt mir eine Hand auf den Oberschenkel. Ich schubse ihn weg und gehe im Bus nach vorne, niemand sagt etwas…
2019: Ich bin alleine im Tram. Trotz so vieler leerer Plätze setzt sich ein Mann neben mich. Ich dränge mich mit Mühe und Not an ihm vorbei und steige viel früher als nötig aus.
2020: Ich setze mich ein für die Debatte zu Gratis Tampons und gegen sexistische Werbung auf dem Tram. Die Mails und Briefe und die vielen Kommentare in den sozialen Medien lassen mich wissen, dass ich dumm, hässlich, unfähig usw. bin.
2021: Ich bin zuständig für ein Geschäft. Konsequent wird auf meinen männlichen Kollegen zugegangen und er muss immer wieder insistieren, dass ich die Ansprechperson sei.
Das alles hat damit zu tun, wie der Stellenwert von Frauen bei uns ist, dieser Umstand ist strukturell bedingt. Auch wenn wir vordergründig eine fortschrittliche Gesellschaft sind, so ist doch klar, dass Frauen in Führungspositionen noch immer eine Minderheit sind und entsprechend Gegenwind haben und dass Sexismus und so auch sexuelle Belästigung zum Alltag gehören. Es sind nur ein paar kleine Erlebnisse, es gäbe noch viele, viele, viele mehr. Und so geht es eben nicht nur mir, sondern den allermeisten Frauen. Es fallen abschätzige Bemerkungen, Berührungen die man nicht möchte, es werden einem Fähigkeiten aufgrund des Geschlechts abgesprochen, man wird auf das Aussehen reduziert, nicht ernst genommen, man muss Angst haben auf dem Nachhauseweg oder alleine im ÖV, man muss so viel mehr kämpfen um ernst und wahrgenommen zu werden, einfach, weil man eine Frau ist. Ich habe das so satt. Und dabei bin ich mit all diesen Erlebnissen (wobei es auch noch viel Unschönere gibt) ja noch bei weitem nicht so schlecht dran, wie anderen Frauen. Frauen sind überdurchschnittlich von häuslicher und sexueller Gewalt betroffen, die Lohnunterschiede (unerklärlich) sind immer noch massiv und in vielen Gremien und Statistischen Erfassungen wird dem weiblichen Geschlecht keine Bedeutung zugestanden usw. Klar kann Mann jetzt sagen, wehr dich doch, nicht alle sind so usw.. Doch weisst du was, es macht ziemlich müde sich immer und immer wieder für eine Selbstverständlichkeit wehren zu müssen.»
Es gibt noch so viele Bereiche in denen Gleichstellung nicht gegeben ist und mein Fokus ist nun mal, dass zukünftige Generationen von Frauen, wie meine kleinen Nichten, meine Schülerinnen und so weiter, eben nicht mehr so fest kämpfen müssen, wie das viele Generationen zuvor gemacht schon führ ihre Rechte gemacht haben und wie auch wir das heute noch machen. Denn alle Geschlechter sind gleich viel wert und haben gefälligst auch die gleichen Rechte!
Also sind wir heute noch lauter, noch vehementer, noch geeinter und fordern wir, was uns zusteht, fordern wir, dass sich die ganze Gesellschaft bewegt, heute und alle Tage. Zusammen sind wir stärker!